Diplomprüfung Wahlfach: Tieftemperaturphysik

Prüfer: Enss
Beisitzer: Classen
Note: 1,3

Suprafluides Helium

E: Helium wird bei tiefen Temperaturen suprafluid. Wie kann man das denn experimentell feststellen?
I: Eine charakteristische Größe ist die spezifische Wärme. (Lambda-Kurve). Zur Viskosität gibt es verschiedene Experimente mit sehr verschiedenen Ergebnissen. Wenn man Versuche mit dünnen Kapillaren macht, verschwindet die Viskosität unterhalb des Lambda-Punktes schlagartig (hingemalt). Verwendet man hingegen ein Rotationsviskosimeter, nimmt die Viskosität zunächst ab (aber nicht auf null), steigt dann bei sehr tiefen Temperaturen wieder an (hingemalt). Man kann auch mit oszillierenden Scheiben messen, dann beobachtet man einen langsamen Abfall.
E: Woran liegt die Zunahme beim Rotationsviskosimeter?
I: Daran, dass die mittlere freie Weglänge zunimmt... Es gibt weniger Stöße zwischen den Atomen... (etwas ins Schleudern gekommen)
E: Es gibt ein Modell, mit dem man suprafluides Helium beschreiben kann...
I: Das Zwei-Flüssigkeiten-Modell: Man geht davon aus, dass suprafluides Helium aus einer normalfluiden und einer suprafluiden Komponente besteht.
E: Woraus besteht denn die normalfluide Komponente?
I: (Schluck) ääh, aus He-Atomen, die nicht im Grundzustand sind, also thermisch angeregte...
E: Sind einzelne Atome angeregt?
I: Nein, es sind kollektive Anregungen, z.B. Rotonen.
E: Es gibt da so ein Experiment, um den Anteil der normalfluiden Komponente zu bestimmen.
I: Das Andronikashvili-Experiment: Man nimmt mehrere Scheiben mit extrem kleinen Zwischenräumen (wichtig!), taucht sie in suprafluides Helium und macht Torsionsexperimente.
E: Was misst man beim Andronikashvili-Experiment?
I: (auf dem falschen Fuß erwischt) letzten Endes den Anteil der normalfluiden Komponente... (etwas von Viskosität erzählt)
E: Warum sind denn die Zwischenräume zwischen den Scheiben so eng?
I: Damit nur die suprafluide Komponente... Ach Quatsch, damit die normalfluide Komponente gewissermaßen steckenbleibt, sich nicht mehr bewegen kann.
E: Die Scheiben sind aus Aluminium. Warum?
I: (völlig ratlos)
E: Man will einen Masseunterschied messen, deshalb sollte man möglichst leichtes Material verwenden. Es gibt noch einen anderen Versuch, den Anteil der normalfluiden Komponente zu bestimmen... Es gibt eigentlich viele Versuche dazu. Was ich jetzt meine, ist der Zweite Schall. Was ist das denn?
I: Als zweiten Schall bezeichnet man Temperaturwellen, mit denen auch eine Schwankung der Anteile von normal- und suprafluider Komponente verbunden ist.
E: Wie würde man denn den zweiten Schall messen?
I: Indem man einen Heizer und ein Thermometer in suprafluidem Helium anbringt.
E: Und was würde man für ein Eingangssignal nehmen? Wie würde man die Schallgeschwindigkeit messen?
I: Man würde ein oszillierendes Signal nehmen. Die Schallgeschwindigkeit könnte man messen, indem man Ein- und Ausgangssignal auf ein Oszilloskop gibt und die Verschiebung zwischen beiden bestimmt.
E: Beim Original-Versuch hat man stehende Wellen erzeugt, die man dann "abgefahren" hat. Wie groß ist denn die Schallgeschwindigkeit beim Zweiten Schall?
I: 137 m/s für T-> 0. Bei steigender Temperatur nimmt die Schallgeschwindigkeit ziemlich schnell ab (hingezeichnet)
E: Warum ist das so?
I: Das dürfte mit den thermischen Anregungen zu tun haben, mit Rotonen.
E: Werden Rotonen bei den tiefen Temperaturen angeregt? Zeichnen Sie mal die Dispersionsrelation von 4He hin.
I: (hingezeichnet) Es dürften wohl eher Phononen sein, z.T. vielleicht noch Maxonen.

Supraleitung

E: Gut. Nun zu einem anderen Thema: der Supraleitung. Wie kann man denn überprüfen, dass der Widerstand tatsächlich um mindestens 14 Größenordnungen abnimmt?
I: Durch Dauerstromversuche: Man hat einen supraleitenden Ring, in ein Strom induziert wird, und dann wird über das Magnetfeld der Strom durch den Ring gemessen. Man hat so herausgefunden, dass es innerhalb der experimentell zugänglichen Zeit keine signifikante Abnahme des Stroms gibt und daraus gefolgert, dass der Widerstand um mindestens 14 Größenordnungen abnehmen muss.
E: (war noch nicht ganz zufrieden, wir haben noch etwas darüber diskutiert, wie der Strom nun genau induziert wird) -- Man unterscheidet zwei Arten von Supraleitern. Welche?
I: Es gibt Typ I- und Typ II-Supraleiter. Man kann das gut mit der Magnetisierung erklären: (hingezeichnet): Typ I-Supraleiter verhalten sich bis zum kritischen Magnetfeld wie perfekte Diamagnete, es ist chi=-1. Dann bricht die Supraleitung zusammen, und es sind normale Diamagnete. Bei Typ II-Supraleitern unterscheidet man Meißner- und Shubnikov-Phase: In der Meißner-Phase verhalten sich Typ II-Supraleiter wie Typ I-Supraleiter, aber bei einem Feld BC1 beginnt das Magnetfeld, in den Supraleiter einzudringen, d.h. die (negative) Magnetisierung nimmt ab, und bei einem Feld BC2 bricht die Supraleitung dann ganz zusammen. Dabei kann BC2 erheblich größer sein als BC bei Typ I-Supraleitern. Man kann das unterschiedliche Verhalten mit der Ginzburg-Landau-Theorie erklären: Bei Typ I-Supraleitern ist die Ausbildung von Grenzflächen (zwischen normal- und supraleitenden Bereichen) mit einem Energieaufwand verbunden, bei Typ II-Supraleitern mit einem Energiegewinn. Deshalb ist es für Typ II-Supraleiter ab einem bestimmten Magnetfeld günstiger, Flussschläuche auszubilden.
E: Welche Materialien sind Typ I-supraleitend, welche Typ II-supraleitend?
I: Typ I-Supraleiter sind in der Regel reine, diamagnetische Metalle, bei Typ II-Supraleitern handelt es sich oft auch um Legierungen oder -- wie bei Hochtemperatursupraleitern -- um Keramiken, Metalloxide.
E: Welche Metalle werden nicht supraleitend?
I: Zum einen ferromagnetische Metalle, weil bei einem permanenten magnetischen Moment der Energieunterschied zwischen Spin up-Elektronen und Spin down-Elektronen so groß wäre, dass sich keine Cooper-Paare bilden könnten. Außerdem Metalle, die bei Zimmertemperatur sehr gut leiten, z.B. Kupfer und Silber. Das liegt daran, dass die Wechselwirkung zwischen Elektronen und Phononen in solchen Metallen sehr schwach ist; diese Wechselwirkung ist aber entscheidend für die Supraleitung, weil die Bildung von Cooper-Paaren durch den Austausch virtueller Phononen erfolgt.
E: Wie sieht das Anregungsspektrum von Supraleitern aus?
I: Die einfachste Anregung ist der broken-pair-Zustand; dafür muss erst eine Energielücke überwunden werden...
E: Ist dieser Zustand eine Einteilchenanregung?
I: Nein, eine Kollektivanregung.
E: Wie sieht denn die Dispersionsrelation solcher Anregungen aus?
I: (erst einmal völlig planlos)
E: Bei hohen Energien...
I: Für k=0 hat man eine endliche Energie (E=2*Delta), für hohe Energien entspricht die Dispersionsrelation der von freien Elektronen, ist also quadratisch (hingezeichnet).
E: Wie sieht denn die spezifische Wärme von Supraleitern aus?
I: (schon wieder auf dem falschen Fuß erwischt, erst einmal wüst herumgestochert)
E: Wie sieht sie denn bei Normalleitern aus
I: ~ T3 (bei höheren Temperaturen), bei tiefen Temperaturen ~ T. Im Supraleiter... (dann war der Groschen gefallen)- wegen der Energielücke exponentielle Abhängigkeit, insgesamt CV~(Delta/kT)3/2exp(Delta/kT)
E: Was passiert bei TC? (nach einigen Versuchen) Die spezifische Wärme ist unstetig, sie macht einen Sprung.

Kühlmethoden

E: Welche Methoden gibt es denn, unter 1K zu kühlen?
I: Das Einfachste ist der 3He-Verdampfungskryostat: Über flüssigem 3He in einem Kryostaten wird der Dampf abgepumpt, komprimiert und wieder zurückgeführt. Dann gibt es den Verdünnungskryostaten (4He/3He), die Pomeranchuk-Kühlung (basiert auf Verfestigung von 3He, wird heute kaum noch angewandt) und die adiabatische Entmagnetisierung.
E: Erzählen Sie mir etwas über die adiabatische Entmagnetisierung.
I: Man kann entweder Elektronenspins (paramagnetische Salze, heute kaum noch) oder Kernspins (Cu, Pt) verwenden. Man verwendet eine Vorkühlstufe (meistens Mischkammer), die über einen Wärmeschalter(Supraleiter, der durch Magnetfeld "geschaltet" wird) mit der zu entmagnetisierenden Masse verbunden ist. Bei der Magnetisierung ist der Schalter "geschlossen", so dass die Magnetisierung bei konstanter Temperatur erfolgt. Dann wird der Wärmeschalter "geöffnet", und das Magnetfeld wird heruntergefahren (T-S-Diagramm gezeichnet und alles daran erläutert). Das erfolgt adiabatisch, also bei konstanter Entropie.
E: Wird das Magnetfeld schnell heruntergefahren?
I: Nein, ziemlich langsam.
E: Beliebig langsam? Was bestimmt die Rate?
I: Nein. Einerseits darf man das Magnetfeld nicht zu schnell herunterfahren, wegen der Relaxationszeiten der Kernspins [anscheinend unwichtig] und der Thermalisierungszeiten mit den Elektronen, andererseits darf es auch nicht zu langsam gemacht werden, wegen der Wärmeeinträge (das wollte er hören).
E: Erfolgt das Entmagnetisieren wirklich bei konstanter Entropie?
I: Nein, die Entropie wird eher zunehmen, was die Kühlkapazität verringert. Das Magnetfeld wird übrigens meistens nicht auf null heruntergefahren, um eine höhere Kühlkapazität zu erreichen.
E: Nun noch zum Verdünnungskryostaten...
I: Das Prinzip beruht auf der Phasenseparation von 4He/3He-Mischungen bei etwa 800 mK. Man hat in der Mischkammer (zeichnen, zeichnen...) oben eine Phase aus praktisch reinem 3He, unten eine Phase, die größtenteils aus (suprafluidem) 4He besteht, aber noch bis zu 6% 3He enthält. Nun "verdampft" 3He in die untere Phase -- da die 3He-Atome das suprafluide 4He nicht "sehen", ist es wirklich eine Art Verdampfung. Die 4He-reiche Phase wird zu einem Verdampfer geleitet, der bei ca. 700 mK betrieben wird. Es verdampft praktisch ausschließlich 3He (höherer Dampfdruck), das zu einer Pumpe geleitet wird, gereinigt wird und über einen Wärmetauscher in die Mischkammer zurückgeleitet wird.
E: Wie sieht so ein Wärmetauscher aus?
I: Es gibt zwei Typen: kontinuierliche Wärmetauscher und Stufenwärmetauscher. Erstere bestehen aus zwei konzentrischen Röhren, letztere aus zwei Kammern mit einer gesinterten Trennwand. Gesintert, um die Oberfläche zu erhöhen: Die meisten Phononen werden an der Grenze 3He-Trennwand reflektiert (Kapitza-Widerstand), so dass der Wärmeübertrag zunächst eher gering ist.
E: Warum macht man sich den ganzen Aufwand mit dem Verdampfer?
I: Um einen Kreislauf zu haben, damit Dauerbetrieb möglich ist.
E: Man könnte doch auch das 3He aus der Mischkammer abpumpen... Bei welchen Temperaturen wird die Mischkammer betrieben?
I: einige mK bis einige 100 mK. Bei diesen Temperaturen wäre der Dampfdruck von 3He zu gering.
E: Warum wird der Verdampfer nicht bei höheren Temperaturen betrieben?
I: Weil dann mehr 4He verdampfen würde, und man will, dass nach Möglichkeit nur 3He verdampft.
E: Gut, das war's. Gehen Sie bitte nach draußen.

Bilanz

Mit der Note kann ich nach dem Verlauf der Prüfung zufrieden sein, sie hätte auch schlechter ausfallen können! Insgesamt wurde mehr Wissen geprüft, als ich zunächst erwartet hatte; beim Lernen hatte ich mehr auf den Überblick als auf die Details Wert gelegt, was vielleicht ein Fehler war. Aus dem Prüfungsbericht dürfte auch hervorgegangen sein, dass diese Prüfung eine regelrechte Zeichenstunde war, deshalb mein Tipp: Schaut Euch die Graphen GENAU an, besonders spez. Wärme und Dispersionsrelationen! Was die optimale Lernstrategie ist, kann ich nicht sagen, zumal der Prüfungsstoff für ein Wahlfach eher umfangreich ist.

Literatur